Heimat heute

Worte eines Heimatpflegers
„HEIMAT“ AUS VIELERLEI BLICKWINKELN

„Heimat“ kann aus vielerlei Blickwinkeln und Positionen gesehen und verstanden werden: Für viele ist der überlieferte Kulturschatz und seine Pflege damit verbunden, andere wiederum begreifen sie als Ort der Geborgenheit und der Sicherheit, manche sehen darin den Ort von Geburt und Kindheit. Heutzutage müssen wir uns auch vermehrt mit Absichten auseinandersetzen, die „Heimat“ als Abgrenzungsbegriff zum vermeintlich Fremden instrumentalisieren.

Für uns heutige Menschen ist die Heimat nicht mehr nur heile Welt. Wir definieren sie vielmehr als den überschaubaren Raum, in dem wir an der Gestaltung unserer nahen Welt mitwirken. In diesem Zusammenhang liegt viel Verantwortung auf uns: wir sind beteiligt an der Weise, wie die Welt um uns herum sich verändert, wie wir ihre Gestalt und Form wandeln. Heimat ist ja gerade nicht Folklore und gute alte Zeit. In ihrer umfassenden Bedeutung geht sie viel weiter: Sie repräsentiert die selbstbestimmte und selbstgemachte Kultur von uns allen, unseren Umgang miteinander, alle Lebensäußerungen, also auch Arbeit, Zusammenleben, kurz: unser Einwirken auf die Welt um uns herum.

Wer seinen Platz finden will in dem Raum, in den er hinein gestellt ist, in dem er entweder geboren und geblieben ist, oder für den er sich als Heimat entschieden hat, der tut gut daran, sich mit der Geschichte seines Heimatraums vertraut zu machen. Wer die Welt in seiner unmittelbaren Umgebung mitgestalten will, der sollte wissen, warum die Dinge so sind, so geworden sind, wie wir sie heute antreffen. Die verantwortungsvolle Sorge um überlieferte Wertvorstellungen, Kulturzeugnisse, Lebensweisen, Baukultur, Landschaften und viele andere Güter ist ein aufschlussreicher Indikator für die kollektive Vernunft einer Gesellschaft. Wer jedoch glaubt, sich überlieferter Güter bedenkenlos entledigen zu dürfen, der überschätzt sich selbst und seine Zeit maßlos.

Heimat entsteht ja gerade nicht durch das rituelle Tragen von Dirndl und Lederhose, durch beharrliches Festhalten an überholten Bräuchen oder schnörkelige Folklore-Dekoration. Sie entsteht aus dem Mittun vieler Menschen. Sie ist im besten Sinn selbstgemacht, sowohl von den Menschen, die vor uns in ihr gelebt haben wie von uns selbst, die wir sie gegenwärtig beleben und in die Zukunft tragen.

Wir sollten uns jeden Tag darum bemühen. Nur dann kann Wohlergehen und Annehmlichkeit für unsere Mitmenschen und uns selbst entstehen, wenn wir uns ermutigen lassen, unsere nahe Welt selbst in die Hand zu nehmen, sie zu bewegen, in eigener Reichweite nach unserem Willen und unserem Können eigene Spuren zu hinterlassen.

Wenn viele Begabungen, unterschiedliche Voraussetzungen, spezielle Bedürfnisse und individuelle Fähigkeiten zusammenkommen und zusammenwirken, wenn sich die Teamspieler und die Tüftler entfalten dürfen, wenn das Nachdenken und das Ärmel-Aufkrempeln zu Nützlichem und Schönem führt, dann entsteht Heimat: etwas Großes im Kleinen, etwas Wesentliches im Detail, eine ganze Welt in Reichweite.

Martin Wölzmüller
Bayerischer Landesverein für Heimatpflege e.V.